Keimen oder Kochen? – Über Vitamine, Antinährstoffe, Phytinsäuren, Trypsin-Inhibitoren und Lektine

Brokkolisprossen (ca. 7 Tage)

Ist Keimen oder Rohkost immer gut? Oder sollte einiges doch besser gekocht werden? Diese Fragen stellten sich mir nach dem Lesen von Dr. Gundrys Buch ‘Plant-Paradox’ sowie Brenda Davis Rohkost-Buch ‘Becoming Raw’ [2], da ich seit über 7 Jahren Sprossen, Samen, Saaten, Getreide, Hülsenfrüchte & Co. keime.

Grundsätzlich habe ich für fast aller meine Überlegungen Bestätigungen gefunden, u.a. dass Keimen die Verdaubarkeit von Aminosäuren (Proteine) und Stärke verbessert, die B-Vitamine (und andere) erhöht, sowie allgemein die Antinährstoffe reduziert (u.a. Trypsin-Inhibitoren, Lektine, Tannine, Phytinsäure und Saponine) [15]:

Sprouting of grains for a limited period causes increased activities of hydrolytic enzymes, improvement in the contents of certain essential amino acids, total sugars, and B-group vitamins, and a decrease in dry matter, starch, and antinutrients. The digestibilities of storage proteins and starch are improved due to their partial hydrolysis during sprouting.”

Dabei ist jedoch zu beachten, das nicht alle Antinährstoffe immer schlecht sein müssen – die Menge und spezifische Art spielen dabei immer eine Rolle, genauso wie Vorerkrankungen des Magen-Darm-Trakts, u.a. durch schlechte Ernährung, Antibiotika und oft auch eine chronische Einnahme von Medikamenten wie z.B. Magensäureblocker. Das war es zur Einführung. Worum geht es nun im Artikel? Unter anderem um:

  • Übersicht der Antinährstoffe
    • Trypsin-Inhibitoren –  verschlechtern die Proteinverwertung.
    • (Phyto-)Hämagglutinin – verklumpen Blutkörperchen.
    • Phytinsäuren – reduzieren die Mineralstoffaufnahme.
    • Lektine – Wozu dienen Sie und wo sind sie enthalten?
    • Wichtig: Bitte keine Lektin- & Antinährstoff-Panik!
    • Trypsin-Inhibitoren, Tannine, Phytinsäure, Hämagglutinin – eine Übersicht.
  • Keimen als Lösung
    • Keimen = Aufwertung der Antioxidanzien.
    • Keimen = Vitaminexplosion in Legumen.
    • Keimen von Buchweizen – etwas zu Vitamin C, Rutin & Fagopyrin.
    • Konfusion: Auch mal weniger B-Vitamine durch einweichen?
  • Ein paar Tipps & Tricks
    • Supersprossen: Brokkoli.
    • Vorsicht bei Alfalfa-Sprossen: L-Canavanine.
    • Etwas zur Hygiene & Sauberkeit.

Am Ende dies Artikels folgt dann mein übliches Fazit.

Trypsin-Inhibitoren –  verschlechtern die Proteinverwertung

Grundsätzlich enthalten insb. Hülsenfrüchte so-genannte Trypsin-Inhibitoren. Trypsin wird benötigt um Proteine aufzuspalten, damit diese vom Körper genutzt werden können.Werden rohe oder (viel) gekeimte Legumen gegessen, dann vermindert sich die Aufnahme von Proteinen und die Bauchspeicheldrüse produziert mehr Trypsin. Dies belastet jedoch die Bauchspeicheldrüse und hat einen Mehrbedarf an schwefelhaltigen Aminosäuren (Cystein und Methionin) zur Folge – welche in einer rein pflanzlichen Ernährung nicht gerade im Überfluss vorkommen.

Beim Einweichen und kochen werden ca. 80-100% dieser Inhibitoren abgebaut – beim Keimen jedoch nur ca. 15-65% und im Schnitt nur ca. 30% (je nach Legume und Keimdauer) [2]. So verbessert alleine schon das Einweichen von Erbsen für 18h die Proteinverwertbarkeit um bis zu 31% [13].

Soja enthält die meisten Trypsin-Inhibitoren, Erbsen sehr wenig. Für eine bessere Übersicht mal folgen de Liste, wobei Soja mit 100% die Referenz (das Maximum) darstellt:

  • Kichererbsen und Limabohnen: 66-77%
  • Mungbohnen: 37%
  • Linsen: 25%
  • Erbsen: 2-17%
  • Andere Legumen: 15-40%

Bei gekeimten Legumen kann nach von folgenden groben/ungefähren Werten des Rest-Trypsins pro Tasse Keimgut ausgegangen werden [2]:

  • Kichererbsen: 21%
  • Linsen: 6%
  • Mungbohnen: 5%

Deswegen empfiehlt sich für den rohen Verzehr die Menge zu begrenzen und keine Bohnen (außer Mung) bzw. sehr wenig Linsen roh zu verzehren. Zu Lupinen habe ich nur eine alte Studie finden können [4], welche sehr gut aussieht – im Vergleich z.B. zu Erbsen sehr, sehr wenig Trypsin-Inhibitoren & Hämagglutinine. Aber leider gibt es da noch die Lektine… dazu gleich mehr.

(Phyto-)Hämagglutinin – verklumpen Blutkörperchen

Diese Proteine (die zu den Lektinen zählen), welche insb. in Legumen vorkommen, können bei exzessiven Konsum die roten Blutkörperchen verklumpen – und gelten als Toxisch. Sie kommen in vielen Lebensmitteln vor – insb. jedoch in Legumen – und dort insbesondere in Kidneybohnen und roten Bohnen. Deswegen ist es wichtig gerade diese beiden Bohnenarten entsprechend zu kochen: 2 h bei 80 Grad (vorher gewässert) oder 15 Minuten bei 121 Grad im Dampfdruck-Kochtopf (Roh oder gewässert).

Keimen soll Hämagglutinine um 75-100% reduzieren, wobei es auch Studien gibt, die weniger ausweisen. Zudem sollen die Hämagglutinine in Erbsen und Linsen ungleich der in Bohnen ggf. weniger oder nicht toxisch sein – die Evidenz dafür ist jedoch eingeschränkt [2].

Phytinsäure – verhindert Mineralstoffaufnahme

Phytinsäure ist in vielen Getreiden, Legumen, Samen, Saaten und Nüssen enthalten und dient dort als Speicher für Phosphat und Kationen mit denen die Mineralstoffe (Kalium-, Magnesium-, Calcium-, Mangan-, Barium- und Eisen(II)-Ionen) für den Keimprozess gespeichert werden. Leider behindert dann die Phytinsäure im Darm auch die Aufnahme von Mineralstoffen, wie z.B. Zink und Eisen. Ein Satz aus Wikipedia fasst die Situation gut zusammen:

“Aufgrund ihrer komplexbildenden Eigenschaften kann sie vom Menschen mit der Nahrung aufgenommene Mineralstoffe wie Calcium, Magnesium, Eisen und Zink in Magen und Darm unlöslich binden, so dass diese dem Körper nicht mehr zur Verfügung stehen.”

Das ganze ist jedoch nicht schwarz und weiß – der Körper kann sich anscheinend an eine höhere Zufuhr von Phytinsäure anpassen [10] – und die Säure hat auch positive Eigenschaften z.B. gegen Krebs [11]. Aus der erstgenannten Studie [10]:

“A diet rich in phytate increases the potential of intestinal microbiota to degrade phytate.”

Wo ist wie viel drin? Nachfolgend mal eine kleine Tabelle aus zwei Quellen: a) und b) [3] – wer genau schaut wird sehen das die Daten riesige Spannen haben. Ungeachtet der Angaben sind natürlich auch die Verzehrmengen in Relation zu setzten, denn bei einer Paranuss und 10 Mandeln am Tag sind die Gesamtmengen an Phytinsäure recht klein:

Lebenmittel Quelle a) Quelle b) Bemerkung
Nüsse
Paranuss 4% 0,29-6,34% Davon reichen 1-2 Stück am Tag für Selen (->Radium!)
Mandeln 2,3% 0,36-9,42% Viel Vitamin E (optimal 24-48h vorher wässern)
Walnuss 1% 0,20-6,69% Kleine Mengen reichen – ich wässere auch Sie 24h
Erdnuss 1,3% 0,17-4,47% Lasse ich weg: Eigentlich eine Legume – viel Lektine
Samen
Leinsamen 2,4% 2,15-3,69% Liefern viel Omega 3 ALA Fettsäuren
Sesam 1,44-5,36%
Legumen (Wichtig: Wegen Trypsin-Inhibitoren & Lektinen grundsätzlichen Kochen, dann o.k.)
Rote Bohne 2,4% Wichtig: Alle Bohnen unbedingt kochen (Dampf.)
Sojabohnen 1,25% 1,0-2,22% Esse ich nur als Natto für Vitamin K2 – fermentiert
Tofu 2,2% 0,1-2,90% Lasse ich weg: Hoch verarbeitet + Hormonsystem-Problematik
Sojaprotein 1,7% Lasse ich weg: Siehe Tofu
Mungbohnen 0,6% 12h Wässern + Keimen, nur geringe Mengen roh
Kichererbsen 0,5% 0,28-1,60% 12-18h Wässern + Keimen, Kochen (Dampf.)
Linsen 0,34% 0,27-1,51% 12h Wässern + Keimen, nur geringe Mengen roh
Erbsen 0,09-0,17% 0,22-1,22% 12-18h Wässern + Keimen + Kochen (Dampf.)
Getreide
Wilder Reis 2,2% 24h Wässern, auf Arsengehalt achten
Mais 0,95% 0,72-2,22% Wohl wie Soja auch hormosystem relevante Wirkung (weniger)
Roggen ca. 1% 0,54-1,46% Als Sauerteig verarbeiten (mindestens keimen!)
Hafer(flocken) 0,9% 0,42-1,16% Müsli über Nacht wässern bzw. ankeimen
Weizen 0,39-1,35% Lasse ich weg: Viel Hitze-resistente Lektine u. WGA
Hirse 0,18-1,67% Top! – Gutes Nährstoffprofil und Lektinfrei nach [6]
(Weißer) Reis 0,37% 0,06-1,08% 24 Wässern, auf Arsengehalt achten
Pumpernickel 0,1% Gut in Bezug auf Phytinsäure
Obst, (Wurzel-)Gemüse
Kartoffeln 0,03-0,05% Gut – In Bezug auf Phytinsäure
Spinat 0,03-0,05% Gut – In Bezug auf Phytinsäure
Gurken 0,03-0,05% Gut – In Bezug auf Phytinsäure
Tomaten 0,03-0,05% Gut – In Bezug auf Phytinsäure
Obst 0,025-0,06% Gut – In Bezug auf Phytinsäure

Wie kann Phytinsäure deaktiviert werden? Durch den Keimprozess – dann bildet sich das Enzym Phytase, was die Phytinsäure (je nachdem) deaktiviert. Dies ist u.a. der Grund, warum Getreidegerichte (z.B. Brotteig) mehrere Stunden gehen sollen – weil auf diese Weise Phytinsäure gespalten und ‘unschädlich’ gemacht wird. Deswegen wässere ich meine Mandeln und Walnüsse und keime Buchweizen und Hafer vor dem Verzehr. Denn bei Getreiden ist die Phytinsäure in den Randschichten konzentriert – also dort, wo auch die Mineralstoffe sitzen. Das ist auch der Grund warum z.B. Weißmehl und weißer Reis wenig Phytinsäure und im Vergleich zu Vollkornprodukten auch wenig Mineralstoffe haben.

So sollten also nicht die Randschichten entfernt werden, was immer auch die Mineralstoffe reduziert, sondern die Phytinsäure sollte durch geeignete Zubereitung, wie z.B. Wässern & Keimen, deaktiviert werden. Phytinsäure ist aber nicht nur schlecht – alles wirkt synergistisch, wie auch hier mit Verweis auf Dr. Greger nachzulesen ist. Und: Mit Zwiebelgewächsen und Vitamin-C kann auch ‘trotz’ Phytinsäure die Eisen- und Zinkaufnahme gesteigert werden. Also keine Panik!

Lektine

Lektine sind eine Gruppe von Antinährstoffen die vor über 100 Jahren entdeckt wurden und zu denen auch (Weizen-)Gluten, WGA (nur in Weizenvollkorn) und (Phyto-)Hämagglutinin zählen. Es gibt viele Arten von Lektinen – und es sind wohl auch nicht alle für uns schlecht – weil gerade die lektinreichen Nahrungsmittel die Basislebensmittel der so genannten Blue-Zones sind in denen menschen sehr lange Leben! Die einen vertragen Sie wohl besser, die anderen schlechter – viel liegt denn auch an der richtigen Zubereitung der Lebensmittel.

Wozu dienen die Lektine und wo sind sie enthalten?

Mit Lektinen ‘verteidigt’ sich eine Pflanze selber bzw. Ihren Nachwuchs (also Ihren Samen) gegen Nager und Fraß-Feinde, die dann z.B. Magenbeschwerden, etc. pp. bekommen – und so hoffentlich vom (übermäßigen) Verzehr der Samen, Saaten und Früchte ablassen. Nach Dr. S. Grundry (siehe auch Buchkritik) [6] finden sich Lektine in fast allen Pflanzen – jedoch vermehrt insbesondere in allen Getreiden und Pseudogetreiden (u.a. Haut & Schale), Hülsenfrüchten (hier insbesondere die Bohnen), in den Samen und der Haut von Nachschattengewächsen (Tomate, Paprika, Aubergine, Kartoffel, etc.) und insb. A1-Casein Kuhmilchprodukten, aber auch Fleisch wenn die Tiere mit Soja, Mais, etc. gefüttert werden. Auch Nüsse die keine sind (u.a. Erdnuss, Cashew) & einige Samen enthalten nach Gundry kritische Lektine, sowie bei einigen Menschen noch Gemüse das technisch gesehen Obst ist (also Samen innerhalb der Frucht trägt) wie z.B. Gurken-, Melonen-, Zucchini- & Kürbispflanzen. Primär also das, was erst vor ca. 500 Jahren aus der neuen Welt importiert wurde und woran wie nach Gundry noch nicht über (hundert-)tausende von Jahren angepasst sind. Das ist zumindest die Aussage & These von Dr. Gundry, welche jedoch durchaus kontrovers ist.

Reduzierung der Lektine in Soja über Kochen mit verschiedenen Temperaturen

Reduzierung der Lektine in Soja über Kochen mit verschiedenen Temperaturen . Quelle: [12]

Eine Strategie um die Aufnahme von Lektinen zu vermeiden bzw. reduzieren ist nach Gundry dann z.B. die Samen und die Haut der Nachschattengewächse nicht zu verzehren (z.B. bei Paprika & Tomate). Bei Hülsenfrüchten können die Lektine über das (Dampfdruck-)Kochen (Temperatur) bis zu 99% abgebaut werden – siehe dazu im Absatz zu Hämagglutinin – dann besteht hier nach Gundry kein Problem. Beim Getreide hilft in der Regel einweichen, keimen, fermentieren (Sauerteig), teilweise Abstand von Vollkornprodukten zu nehmen und/oder hohe Temperatur (beim Backen) um die Lektine zu reduzieren – anscheinend jedoch nicht komplett zu eliminieren. Leider gibt es gerade im Weizen einige Lektine u.a. auch WGA (was sich in den Randschichten konzentriert), die sich sich auch durch die hohen Temperaturen beim Backen nicht beeindrucken lassen. Deswegen rät (zumindest) Gundry komplett von Weizen & insb. Weizenvollkorn ab. Auch Weizengraspulver ist in dieser Hinsicht wohl kritisch zu beurteilen. Selbst Pseudogetreide wie Quinoa haben ein Lektinproblem – wurden Sie doch ursprünglich eingeweicht, fermentiert und dann lange gekocht. Ein Dampfdruckkochen ist u.a. bei Quinoa wohl sehr sinnvoll – und dann ist in der Regel auch alles gut.

Bitte keine Lektin- & Antinährstoff-Panik

Wer tiefer in das Thema einsteigen möchte, dem empfehle ich (mit bedacht) das Buch ‘Plant Paradox’ [6] und/oder diesen Artikel bei Superfoodly [14] (leider in Englisch). Im Superfoodly-Artikel findet sich dann auch noch eine schöne Stelle:

“You will hear many health bloggers advocating for an anti-lectin or lectin free diet. That’s hilarious because it would be advocating for your death.”

Übersetzung: “Viele Gesundheitsblogger schlagen eine lektinfreie Ernährung vor. Das ist in sofern urkomisch, als das es in Konsequenz den eigenen Tod bedeuten würde”. Dies, da Lektine faktisch überall enthalten sind. Primär haben dann wohl auch solche Menschen mit Lektinen ein Problem, bei denen der Darm insb, durch Medikamente, Antibiotika, Säureblocker, Aspirin, Ibu & Co. und zu wenig Ballaststoffe fundamental gestört wurde bzw. noch ist (Stichwort: Leaky-Gut & Co.). Und dann ist immer noch die Frage – welche Lektine aus welchen Pflanzen für die eigenen Beschwerde der Hauptauslöser sind. Die Forschung zu den Lektinen ist noch recht jung und es soll nach Dr. Greger von Nutritionfgcts.org auch welche geben die sogar gesundheitsförderlich sind.

Es geht also mal wieder um ein richtige Maß, die richtige Zubereitung und darum Exzesse & Risikofaktoren (z.B. unterkochte Bohnen) zu vermeiden. Darauf weißt auch Dr. S. Gundry hin: Der Körper habe vier Mechanismen um mit Lektinen umzugehen – einer davon sind angepasste bzw. erworbene Bakterien (Mikrobiom) im Darm. Wird nun jedoch ohne konkrete Allergie ein Lebensmittel dauerhaft gemieden (z.B. Gluten) – dann besteht auch das Risiko die Toleranz gegenüber diesem Lebensmittel zu verlieren bzw. deutlich zu senken. Alles interagiert…

Trypsin-Inhibitoren, Tannine, Phytinsäure, Hämagglutinin – eine Übersicht

Antinährstoffe in Mung-Bohnen je nach Behandlung.

Antinährstoffe in Mung-Bohnen je nach Behandlung. Quelle

In dieser sehr interessanten Studie: Nutritional composition and antinutritional factors of mung bean seeds (Phaseolus aureus) as affected by some home traditional processes – ist mal zusammengefasst worden, wie die Antinutrienten bei Mungbohnen die auf verschiedene Weise zubereitet werden (Roh, Gewässert, Gekeimt, Gekocht, etc.) reduziert werden.

So werden bei Mungbohnen werden alleine durch das wässern und Keimen viele der Hemmstoffe zum Teil (20-80%) abgebaut – das Kochen ist in diesem Bezug bis auf die Reduktion von Tannin im Mittel nochmals besser, da hier oft 100% der für den Menschen ungünstigen Schutz- und Hemmstoffe, insb. die Trypsin-Inhibitoren und  Hämagglutinin eliminiert werden. Natürlich werden beim langen Kochen der Legumen insb. Vitamin-C zerstört bzw. der Gehalt anderer Vitamine reduziert – alles hat seinen Preis.

Die Frage könnte also nicht: Gekocht oder gekeimt sein, sondern Keimen, Abbau der Schutz- und Antinährstoffe + Aufwerten der Vitalstoffe und dann kochen -> also GekeimKocht! Der Vorteil beim Kochen von (vor-)gekeimten ist denn auch, das die Kochzeit deutlichst reduziert wird, wodurch dann auch die Zerstörung der Vitamine minimiert wird. In Bezug auf die Herstellung (also Wässern, Keimen, Erhitzen) von hochwertigem Bohnenmehl (im Kontext bio-verfügbares Protein und Mineralstoffe) wird dies auch durch andere Studien bestätigt [5].

Keimen = Aufwertung der Antioxidanzien

Antoxidanzien in Sprossen und Keimen

Antoxidanzien in Sprossen und Keimen. Quelle

Hier zur Einstimmung erst einmal ein kleines Video von Nutritionfacts zum Thema Axtioxidanzien in Keimen: Antioxidants Sprouting Up – What happens to the antioxidant content of seeds, grains, and beans when you sprout them?.

In dem Video wird eine interessante Studie zur Entwicklung der Antioxidanzien (und mehr) im Bezug auf die Keimdauer von sehr vielen Lebensmitteln besprochen. Die Studie heißt: ‘Creation of a Databank for Content of Antioxidants in Food Products by an Amperometric Method‘. Nebenstehend ist mal die Tabelle aus der Studie abgebildet, welche aufzeigt wie krass sich das z.B. mit den Antioxidanzien verhält: z.B. 500% mehr Antioxidanzien bei Kichererbsen nach 5 Tagen – und bei Leinsaamen ca. 1000% mehr.

Warum sollte dieser Vorteil für ein bisschen Arbeit, Wasser und Geduld nicht mitgenommen werden?

Keimen = Vitaminexplosion in Legumen

Vitaminentwicklung in verschiedenen Bohnenkeimen

Vitaminentwicklung in verschiedenen Bohnenkeimen. Quelle

Ich habe lange gesucht ob ich Tabellen zu den Steigerungen bez. der Vitamine in verschiedensten Sprossen und Keimen finde. Leider bin ich kaum fündig geworden, so das die beste Übersicht diesbezüglich wohl immer noch im Buch ‘Sprossen und Keime‘ (Achtung: Amazon-Link!) steht.

Eine Studie in Bezug auf verschiedene Legumen habe ich dennoch ausgemacht: Vitamin content of some mature and germinates legume seeds  – sogar im Volltext als PDF. In dieser Studie wurde, wie nebenstehend abgebildet, u.a. die Vitaminexplosion von verschiedenen Legumen-Keimen (Mungbohne, Erbsen und Sojabohnen) in Bezug auf Vitamin-C (Ascorbic Acid), Vitamin B2 (Riboflavin), Vitamin B3 (Niacin) und B5 (Pantothenic acid) untersucht.

Ich denke die Grafiken sind eindeutig: Aufwertung der verschiedenen B & C-Vitamine um mehrere hundert Prozent innerhalb von nur 3 Tagen.

Aus diesem Grund empfehle ich auch allen Menschen die mich diesbezüglich fragen den Konsum von (selbst-)gekeimten Getreiden und Legumen – anstatt (künstliche) Vitamin-B Supplemente (mit Ausnahme von B12) einzunehmen. Zwar gehen viele B-Vitamine beim Kochen (je nach Temperatur und dauer) verloren – wenn man Sie vorher jedoch um Faktor 2-4 steigert, dann bleibt immer noch genug übrig.

Keimen von Buchweizen – etwas zu Vitamin C, Rutin & Fagopyrin

Entwicklung von Rutin in Buchweizensprossen.

Entwicklung von Rutin in Buchweizensprossen. Quelle

Buchweizen ist ja mein Liebling im Müsli. Durch das Keimen sollen sich die B-Vitamin-Bilanz verbessern, aber auch Flavonoide wie Rutin, dem gute Wirkungen zugeschrieben werden. Hier mal die Studie: Changes in phenols contents from buckwheat sprouts during growth stage und ein Auszug: “It was found by CE analysis that germinated buckwheat soaked for 20 h contained 1.5 times more rutin than the amount measured before germination” (also 1,5 mal mehr Rutin) und das diese Sprossen “are ideal foods that can help maintain our health on a daily basis.” – also gesundheitlich vorteilhaft sein können.

Diese Studie: Introduction and nutritional evaluation of buckwheat sprouts as a new vegetable, der Volltext hier hat mal genau auf Vitamin-C und das Rutin geschaut – und wie in den nebenstehenden Grafiken ersichtlich ist – passiert da ordentlich etwas, insb. wenn Buchweizen bis zu 7 Tagen (also in das Blattgrün) keimt.

Aus der Studie:

Entwicklung von Vitamin C in Buchweizensprossen.

Entwicklung von Vitamin C in Buchweizensprossen. Quelle

  • Mehr freie Aminosäuren: “Free amino acid contents in buckwheat sprouts were almost four-times higher than those of buckwheat seeds”.
  • Spannend auch mehr GABA: “…it was concluded that the abundance of lysine, γ-amino-n-butyric acid (GABA) and sulfur containing amino acids in buckwheat sprouts provides a high nutritional value as a new vegetable.” – gerade wichtig in Zusammenhang mit dem Dopamin / GABA Komplex, u.a. bei Erschöpfung, Schlaflosigkeit und Depressionen.
  • Mehr Rutin: “As seeding days progressed, rutin, quercitrin, …. were notably increased”.
  • Deutlich mehr Vitamin-C: “Vitamin C contents of buckwheat sprouts were increased and its maximum content (171.5 mg/100 g) was observed at 7 DAS”.
  • Moderat mehr B-Vitamine: “On the other hand, vitamin B1 + B6 contents were moderately increased”.

Aber Achtung: Keimen Buchweizensprossen ins Grün (5..7 Tage), dann entsteht Fagopyrin, was toxisch ist und u.a. licht-sensitive Haut zur Folge hat. Deswegen keime ich meinen Buchweizen nur 2 Tage lang – bis er einen ca. 0,5-1 cm langen Keimfortsatz entwickelt. Ab dem dritten Tag (2-3cm lange Keimfortsätze) beginnt Buchweizen dann auch bitterer zu schmecken. Insofern relativieren sich leider die realistisch möglichen Werte der Zugewinne an Vitamin-C und Rutin. Das ist dann leider auch das Problem mit vielen Studien.. die Schauen auf Faktor A und vergessen Faktor B.

Konfusion: Auch mal weniger B-Vitamine durch einweichen?

Ja, so kann es wohl auch gehen. In eine Studie [8] wurde der Einfluss es einweichens für 9 Stunden und des nachfolgenden kochens auf die B-Vitamine Thiamin, Riboflavin und Niacin (B1, B2 und B3) in Bezug auf (Faba) Bohnen, Kichererbsen und Linsen gemessen (rot: Abnahme, grün: Zunahme) Hier erst mal die Abnahme durch das einweichen:

  • Bohnen: B1: 0-15%, B2: 0-11%, B3: Keine Änderung
  • Kichererbsen: B1: 0–18%, B2: 0–4%, B3: 0–46%
  • Linsen: B1: by 5–10%, B2: 26–42%, B2: bis zu 98% Zunahme.

Das Kochen reduzierte dann die Vitamine noch mehr oder weniger – in der Regel zwischen 35-65%. Was diese Studie (bzw. der öffentlich einsehbare Abstract) jedoch nicht erwähnt: Beim Keimen von Kichererbsen werden nach dem Buch Sprossen und Keime [9] die Vitamine A und C deutlich aufgewertet. Es gibt wohl einen größeren Unterschied zwischen Keimen (mehrere Tage) und einweichen… und wie sich die Vitamin-Konzentration ggf. durch das 2-7 Tägige Keimen wieder steigert – das hat diese Studie ja nicht untersucht…

Eine andere Studie [7] hat ähnliches in Bezug auf braunen Reis evaluiert – hier mit verschiedenen Einweichzeiten (24, 36 und 48 h) sowie Temperaturen (35°, 45° und 55 °C). Folgende Resultate ergaben sich:

  • Phosphat: von ca. 255 mg/100 g auf 35–92.4 mg/100 g (kann Vor- und/oder Nachteilhaft sein)
  • Phytinsäure: Reduktion um 87-91% (am besten 48h bei 45°C)
  • Eisen (Fe): bis zu -50%
  • Zink (Zn): bis zu -64%
  • Proteine: bis zu -45%

wobei die Studie jedoch auch angibt, das die Proteinverwertung und die Aufnahme der Mineralien im Darm verbessert wurden. Das ist eben immer das Problem wenn man monokausal schaut – also nicht die gesamte synergistische Kette betrachtet. Weiterhin ist zu beachten, das durch das Einweichen auch der Arsengehalt im Reis reduziert wird. Es gibt also mal wieder kein absolutes Schwarz oder Weiß – die synergistischen Effekte die wir alle nicht überblicken sind einfach zu groß. Irgendeine Nährstoff-Panik scheint mir hier eher unangebracht.

Supersprossen: Brokkoli

Brokkolisprossen sind für Dr. Greger von Nutritionfacts die Sprossen überhaupt: “Growing your own broccoli sprouts is one of the most cost-effective ways to improve your diet.”  – also für Ihn sind diese Sprossen der kosteneffektivste Weg seine Ernährung zu verbessern – noch besser (günstiger) als bei Rotkohl. Der Grund ist u.a. Sulforaphane, (als potenter NRF-2 Aktivator)  was sich insb. bei Krebs positiv auswirkt.

Wer mehr wissen will, schaut bitte bei diesem Artikel hier im Blog nach.

Vorsicht bei Alfalfa-Sprossen: L-Canavanine

Bei Alfalfa-Sprossen kann es über Verunreinigungen mittels Fäkalbakterien die bereits in den Samen enthalten sind (wohl durch Ihre Obenflächenstruktur) zur Verunreinigung durch Salmonellen, etc. kommen. So hatte die amerikanische Behörde für die Seuchenbekämpfung bei einer größeren Salmonelleninfektion in 2009 die Samen als Quelle der Salmonellen ausgemacht.

Das ganze sollte aber in Kontext gesehen werden – wo in den USA nach diesem Video (‘Don’t eat raw Alfalfa sprouts’) bei Nutritionfacts in den USA von Salmonellen und Sprossen in 2006 ca. 100 Menschen betroffen waren – waren es alleine bei Eiern 118-tausend! Und um die Salmonellen in Eiern abzutöten müssen diese absolut Hartgekocht werden – Spiegelei oder mit flüssigem Eigelb reicht nicht! Dennoch, es ist Vorsicht geboten:  Im Mittel war (in den USA) eine von 67 käuflichen Alfalfa-Chargen im Supermarkt von einer E.coli-Bakterien Verunreinigung betroffen – aber nur einer von 91 Hamburgern 😉

Ein weiterer Punkt bei Alfalfa-Sprossen ist L-Canavanine (LCN). Weil dessen Proteinstrukturen ähnlich den von L-Arginin sind, kann der Körper dies anstatt Arginin in Proteinen einbauen – was dann zu Problemen führen kann (wenn es übertrieben wird). Der Konsum von Alfalfa-Sprossen sollte also etwas eingeschränkt werden und maximal eine Tasse betragen [2].

Etwas zur Hygiene & Sauberkeit

Beim Aufziehen der Sprossen ist auf hohe Reinlichkeit zu achten – das ist auch das, was als oberstes Gebot im Sprossen und Keime Buch steht. Für die Reinigung sind kochendes Wasser, Essig, Spüli, Spülbürste, Topfschwamm und Putzessig sind die besten Freunde – wobei der Topfschwamm und die Spülbürste exklusiv für die Sprossenzucht verwendet – und öfters ausgetauscht werden sollten. Optimal erscheint natürlich eine Spülmaschine – wenn verfügbar. Alternativ können z.B. die Deckel & Siebe der Eschenfelder Keimgläser im Wasserkocher abgekocht werden.

Auch gehören die Keimgläser und andere Keimgeräte nicht in die Nähe der Toilette – wo vermehrt Fäkalbakterien in der Luft schweben. Ein Händewaschen vor dem hantieren mit den Samen, Saaten, Legumen, Getreiden und Keimgläsern ist für mich ebenfalls obligatorisch – genau wie ein extra Handtuch. Das Keimgut sollte zudem vorher und beim Keimen immer gut und oft genug gespült werden. Wird es im Sommer sehr warm in der Küche (>24 Grad), dann bietet es sich ggf. an eine Pause mit dem keimen zu machen. Deswegen sollten die Keimgläser & Co. auch nie in der direkten Sonne und eher nicht  im Fensterbereich stehen.

Auf Basis dieser Achtsamkeit hatte ich in den letzten 7 Jahren auch noch nicht ein einziges Problem mit meinen Keimsaaten – und das ohne Spülmaschine.

Mein Fazit

Mit dem geeigneten Hintergrundwissen ist bzw. wird alles gut. Wird das Richtige in maßen verzehrt und entsprechend zubereitet, das vermieden wo persönlich eine Intoleranz (u.a. in Bezug auf Lektine, Gluten, etc.) besteht, dann  sind die Antinährstoffe in der Regel kein Problem. Teils können die ‘bösen’ Antinährstoffe dann sogar Gesundheitsförderlich sein (z.B. in Bezug auf die Phytinsäuren), denn alles wirkt mal wieder synergistisch. Das gleiche passiert beim Wässern und keimen – das eine wird abgebaut – das andere nimmt zu. Es gibt meist kein absolutes schwarz oder weiß.

Wer jedoch ‘komische’ Unverträglichkeiten, Autoimmunkrankheiten, Rheuma, etc. hat – der sollte gerade die Lektin-Problematik als möglichen Auslöser auf dem ‘Schirm’ haben – wobei die unterliegenden Ursachen oft andere sind. Wie relevant das Thema nun wirklich ist – und von welchen anderen (individuellen) Faktoren & Mengen es abhängt… wer weiß. Insofern würde ich auch das, was Dr. Gundry in seinem Buch über Lektine schreibt [6] mit etwas Zurückhaltung lesen.

Weswegen schreibe ich das? Nach allen Studien die ich kenne wirkt sich eine vorwiegend pflanzlich-vollwertige Ernährung sehr positiv auf die Gesundheit aus. Denn insb. Gemüse, aber auch Hülsenfrüchte und viele Getreide, bestehen ja nicht nur aus so-genannten Antinährstoffen – sondern bringen noch eine Hülle und Fülle an anderen Stoffen mit, welche diese kleinen Nachteile im ‘Gesamtpaket’ wohl mehr als ausgleichen. Deswegen ist es auch wichtig abwechslungsreich zu essen, nichts über lange Zeit im Exzess zu verzehren und ggf. (Vollkorn-)Weizen Produkte (bei Unverträglichkeit) zu vermeiden bzw. auf ein ‘gesundes’ Maß zu reduzieren. Insofern verweise ich auch noch mal auf die richtige Zubereitung und meinen Küchen-Freund, den Instant-Pot.

In diesem Kontext möchte ich auch noch mal Brenda Davis erwähnen, die in Ihrem Vortrag ‘Eating For Life. Designing An Optimal Diet’ explizit darauf hinweist (gleich am Anfang), dass alle ‘Blue Zones’, also dort wo Menschen sehr lange leben, u.a. eines gemeinsam haben: Einen hohen Verzehr an Legumen. Dieses wird auch durch Studien bestätigt: Ein höherer Verzehr an Legumen ist mit besserer Gesundheit bzw. einer niedrigeren Mortalität assoziiert. Das relativiert für mich die Sorgen die sich einige Menschen in Bezug auf die Antinährstoffe, gerade in Legumen, machen: Also, wenn diese richtig zubereitet werden.

So sollte dieser Beitrag als Tip zur Optimierung verstanden werden – und nicht um Angst & Schrecken in Hinblick auf die vorgestellten Antinährstoffe zu verbreiten. Letzteres machen schon genug ‘Paleo’-Webseiten. Letztgenannte verschweigen oder bagatellisieren dann leider gerne die Risiken des ‘Paleo-Dogmas’ und der vielen tierischen Produkte, stellen jedoch die pflanzlichen Antinährstoffe, speziell aus Getreide und Legumen, als primäre und/oder sekundäre Quelle vielen (oder allen) Übels dar. Ganz so einfach ist das aber alles nicht… Denn wer weiß wie er verschiedenste Lebensmittel, u.a. die Legumen, richtig Vor- und Zubereiten sollte – speziell auch im kulturhistorischen Kontext – der wird von diesen in der Regel sicher sehr stark profitieren. Leider ist viel (historisches) Wissen um das richtige Zubereiten von Lebensmitteln mit der ‘schnellen Küche’ der letzten Jahrzehnte verloren gegangen. Dieses Wissen gilt es zu reaktivieren!


Quellen

Links

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